Ein Gespenst auf Abwegen – bis heute wahrt ein Schlüssel sein Geheimnis

Von Eva Ilisch

Im August 1659 geschehen im württembergischen Kloster Maulbronn plötzlich merkwürdige Dinge: Allerlei Hausrat fliegt durch das Dach in den Hof oder verschwindet, es poltert und klopft, Gegenstände sind unauffindbar und tauchen erst Tage später wieder auf. Die Bewohner des Klosters, vor allem die Lehrer und Schüler der dort seit dem 16. Jahrhundert eingerichteten evangelischen Klosterschule, machen sich zunächst nicht viele Gedanken über die merkwürdigen Ereignisse. Handelt es sich vielleicht um einen bösen Scherz eines Schülers? Oder treibt ein Marder auf dem Dachboden sein Unwesen? Immer wieder ereignen sich in den folgenden Wochen mysteriöse Vorfälle, vor allem das Wohnhaus des Prälaten Joseph Schlotterbeck ist betroffen. Einige wollen sogar die Anwesenheit eines Gespenstes spüren. Als dann an verschiedenen Stellen des Klosterareals ohne ersichtlichen Grund Feuer ausbrechen, zweifelt keiner mehr an den bösen Machenschaften eines Geistes.

Die Geschehnisse im Kloster Maulbronn in den Jahren 1659 und 1660 sind in einer Akte der Abteilung Hauptstaatsarchiv Stuttgart des Landesarchivs Baden-Württemberg ausführlich dokumentiert. Zwischen den Schriftstücken liegt ein Schlüssel versteckt, der an einem Holzzweig befestigt ist. Die spannende Frage lautet: Was hat es mit diesem rätselhaften Stück auf sich?

Herzog Eberhard III. von Württemberg, dem von den Ereignissen in Maulbronn berichtet wird, befiehlt den Lehrern und Schülern der Klosterschule als erste Maßnahme inständig zu beten. Er lässt jedoch auch eine Wache im Kloster aufstellen, die Tag und Nacht patrouilliert. Da der Spuk kein Ende nimmt, ordnet Eberhard eine Untersuchung an. Herzogliche Amtleute verhören die im Kloster anwesenden Personen. Mehr und mehr gerät die junge Magd Anna Maria Rojentaler ins Fadenkreuz der Untersuchungen. Sie war bei einer Truhe gesehen worden, die der Tochter des Prälaten gehörte und die wertvolle, später fehlende Gegenstände enthielt. Auch beim Umherwerfen eines Kästchens hat man sie erwischt. Die Magd wird daher inhaftiert, nach Stuttgart gebracht und dort weiter verhört. Den Diebstahl gesteht sie letztlich, unter anderem hatte sie einen Schwindelstein entwendet (ein Amulett, welches gegen Schwindelanfälle helfen soll). Es wird klar, dass Anna Maria das umhergehende Gespenst genutzt hatte, um die Diebstähle dem bösen Geist anzulasten. Doch gelangen die Ermittler auch zu der Erkenntnis, dass sie nicht für alle merkwürdigen Vorfälle im Kloster verantwortlich sein kann. In den Verhören wird Anna Maria auch jener Schlüssel vorgelegt, der noch heute der Akte beiliegt. Dieser wurde an einem Stück Holz und einem Strohhalm (welcher mittlerweile fehlt) in einer Truhe steckend im Kloster gefunden. Die Magd bestreitet, etwas mit dem Schlüssel zu tun zu haben. Sie hat großes Glück und wird nicht weiter für den häuslichen Diebstahl bestraft. Im März 1660 wird sie allerdings aus dem Dienst in Maulbronn entlassen, darf dorthin nicht mehr zurückkehren und wird in die Obhut ihres Vaters nach Marbach am Neckar gegeben.

Die Situation beruhigt sich etwas, doch schon bald nach der Entlassung der Magd kehren die unerklärlichen Geistererscheinungen ins Kloster zurück. Das vermeintliche Gespenst erscheint nun vor allem in Katzengestalt. Zahlreiche mysteriöse Vorfälle sorgen weiterhin für Verunsicherung. Erst im Herbst 1660 hat der Spuk offensichtlich ein Ende – zumindest versiegt zu diesem Zeitpunkt der Strom der Nachrichten in der überlieferten Akte.

Das Konvolut enthält zahlreiche weitere Erzählungen über die Taten und Gestalten des Gespenstes. Die Berichte aus Maulbronn vermitteln einen nachhaltigen Eindruck von der Lebenswelt und den Weltdeutungsmustern der Klosterbewohner. Aus heutiger Sicht lässt sich vermuten, dass das angebliche Gespenst das Produkt derber Streiche und kleinkrimineller Aktivitäten gewesen ist und sich seine Existenz vor allem dem damals verbreiteten Glauben an überirdische Gestalten, Geister und Bösewichte verdankt. Wer den sonderbaren Geisterschlüssel, welchen man zur Beweissicherung in der Akte beließ, gefertigt hat, ist ungeklärt. War es der Scherz einer realen Person oder vielleicht doch das Werk des Maulbronner Klostergespenstes? Es bleibt der Auslegung oder Fantasie der Leser*innen überlassen.

 

Der Text stammt von Eva Ilisch vom Landesarchiv Baden-Württemberg. Wir bedanken uns herzlich für die Bereitstellung der frühneuzeitlichen Gespenstergeschichte rund um den geheimnisvollen Truhenschlüssel.

 

Falls Ihre Fantasie noch etwas Futter benötigt: Hier gelangen Sie direkt zu eindrücklichen schwarzweiß Aufnahmen des Klosters Maulbronn von 1920, angefertigt vom Karlsruher Fotografen Wilhelm Kratt.

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